Schiffer und
Kaufleute

Von der Friedrich-Humbert-Straße in Grohn geht -von Vegesack kommend- kurz vor der Sportanlage Översberg die kleine, huckelige Seefahrstraße ab, die bestimmt vielen Bewohnern noch nie aufgefallen ist. Sie ist nicht sehr lang und endet schon nach zwei bis drei hundert Metern an einem Renaissance-Portal. Was ist das für ein uraltes Portal, das zum „Haus Seefahrt“ gehört und weltbekannt ist? Die Geschichte des Portals samt „Seefahrthäuser“ fängt nicht in Grohn an sondern in Bremen:

Es waren harte Zeiten, als im 16. Jahrhundert Bremer Schiffer und Kaufleute darüber nachdachten, wie denn wohl am besten den in Not geratenen Seeleuten geholfen werden könnte. Auf die See hinauszufahren bedeutete für die hölzernen Schiffe stets ein unkalkulierbares Risiko. Es waren nicht nur die rauhen Stürme der Nordsee, die den Segelschiffen zusetzten – den Besatzungen drohten zusätzliche Gefahren durch die starke Piraterie.

War es über viele Generationen hinweg üblich gewesen, daß die Kirche in Notfällen half, so gerieten die Armen und Unterstützungsbedürftigen durch die Wirren der Reformation einstweilen in die Vergessenheit. Und besonders unter den Seeleuten, die auf See zu Schaden gekommen waren und ihren Beruf nicht mehr ausüben konnten, kam es oftmals zu großer Not. In dieser Situation handelten 1545 die bremer Schiffer und Kaufleute. Sie ließen sich vom Bremer Rat zugestehen, daß sie fortan „Schiffergelder, Gottespfennige und Gelübdegelder, die man ehedem zum Theil zu Kirchenmessen, Altardienst und anderem verwandt habe, bloß noch zum Vorteil der Armen einzuziehen und die zusammengebrachte Summe in einer Kiste deponieren zu dürfen“.

Heute gilt diese Stiftung als ältester und noch bestehender Sozialfonds in Europa, denn wie vor über vierhundert Jahren lebt „Haus Seefahrt“ nach wie vor von den Spenden der Freunde und Gönner und natürlich von den Beiträgen seiner Mitglieder. 1991 entstammen 103 von ihnen dem kaufmännischen Gewerbe, 352 waren „seemännische“ – allesamt Kapitäne.

Im Jahre 1561 erwarb „Die arme Seefahrt“ ein eigenes Haus, in dem die Kasse untergebracht und verwaltet wurde. Von da an hieß die Stiftung „Haus Seefahrt“. Zunächst verwalteten die Schiffer die Angelegenheiten der Stiftung selbst, was aber wegen der längeren Abwesenheit der Mitglieder auf See ziemlich ungünstig war.

Deshalb traten seit 1561 die Schiffsreeder mit in die Verwaltung ein, und seitdem wird die Stiftung gemeinsam von Kaufleuten und Schiffern unterhalten und verwaltet.

Dieses erste Haus wurde nach hundert Jahren baufällig, deshalb schritt man 1661 zu einem Neubau. Es entstand das zweite Haus, welches architektonisch eine Zierde der Stadt wurde.

1874 mußten, wegen der Anlage der Kaiserstraße, die Gebäude nach über zweihundert Jahren abgebrochen werden, und das dritte „Haus Seefahrt“ entstand an der Lüzowerstraße, wo die Stiftung schon 25 Jahre vorher eine Anzahl von Häusern im dortigen Seefahrtshof errichtet hatte. Das alte Portal nebst schmiedeeisernen Einfahrtstor nahm man dorthin selbstverständlich mit. Leider wurden die mühsam mit Spendengeldern errichten Häuser siebzig Jahre später im zweiten Weltkrieg völlig zerstört. Wie ein Wunder blieb das wertvolle Portal erhalten.

Im Jahre 1950 wurde mit dem Bremer Staat vereinbart, daß das Grundstück an der Lützowerstraße dem Bremer Staat überlassen wird gegen ein Grundstück auf dem „Översberg“ in Grohn, hoch über dem Ufer der Lesum, kurz vor ihrer Einmündung in die Weser bei Vegesack, und dort steht das vierte „Haus Seefahrt“ noch heute.

„Aus Freigiebigkeit von Kaufleuten und Schiffern“ steht als Inschrift an jenem Portal, hinter dem der großzügig angelegte Seefahrtshof mit Pavillon heute liegt. Acht Häuser mit Zwei- und Dreizimmerwohnungen formen dieses beschauliche Ensemble, umgeben von einem wunderschönen Baumbestand.

Hier wohnen alte Seefahrer und deren Frauen oder Witwen, wie es schon seit Jahrhunderten -an den eben beschriebenen Orten- üblich war. Ein Altersheim ist der Seefahrtshof gewiß nicht, eher eine heimelige Wohnanlage. Die Verbundenheit zur Seefahrt ist nicht nur durch die Nähe zum Wasser offenbar: Alle acht Häuser tragen den Namen Bremischer Reedereien, mit deren „Patengeldern“ sie unter anderem gebaut wurden. Ihre Türen schmücken deren Wappen.

Daß die Wohnungen erhalten bleiben können und daß in Not geratene Fahrensleute unterstützt werden, diese Aufgabe hat sich über die Zeit hinweg bewahrt.

In alten Zeiten legten die Schiffe im Spätherbst für den Winter im Hafen auf, und die Schiffer ruhten sich zu Hause aus. Ehe dann im Frühling die Fahrt wieder begann, versammelten sich Anfang Februar die Kaufleute mit ihren Kapitänen zu einem Abschiedsessen im „Haus Seefahrt“. Vorher fand die Rechnungsablage vor allen Mitgliedern durch die Schaffer und die Wahl der neuen Schaffer statt. Ein Aufliegen der Schiffe im Winterlager gibt es nicht mehr, aber die Rechnungsablegung und Schafferwahl findet in althergebrachter Weise noch heute statt.

Seit der Zerstörung des alten Wappensaales im alten Seefahrtshaus hat der Präsident des Bremer Senats dankenswerterweise obere Halle des alten Rathauses zur Verfügung gestellt, so daß die Schaffermahlzeit im würdigen Rahmen in der seit dem Mittelalter üblichen Weise stattfinden kann, sobald von dem verwaltenden Vorsteher der traditionelle Ruf erklungen ist: „Schaffen, Schaffen unnen und boven, unnen und boven Schaffen“. Damals wurde damit der Mannschaft „unter Deck und an Deck“ signalisiert, daß das Essen fertig ist.

Es zählt zu guter bremischer Tradition, daß über die Spenden, die in jedem Jahr anläßlich des Schaffermahls zusammenkommen, Stillschweigen geübt wird. Gleichwohl darf man sicher sein, daß stets ein stolzes Sümmchen zusammenkommt, wenn sich zu dem traditionellen Essen Gäste aus aller Welt versammeln. Die Schaffer selber, die das Gastmal jedes Jahr am zweiten Freitag im Februar ausrichten, sind bremische Kapitäne oder Kaufleute – Mitglieder des „Haus Seefahrt“ in Grohn.

von Armin Seedorf