Unterweser
Fähren

„Über die Weser klang seit alters her der Ruf ‚Hal över‘, von ‚güntsiet na ditsiet‘. Ältere Bürger werden sich dabei mancher Idylle erinnern, die jüngere nicht mehr kennengelernt haben. Heute dröhnen Schiffsdiesel der modernen Schnellast-Kopffähren zwischen den Ufern. Von einem gemächlichen Ruderschlag kann keine Rede mehr sein.“
(G.Benja 1989)

Die nördlichste der drei Fährverbindungen im Bereich Nord-Bremen befindet sich zwischen Farge und Berne. Kämpfe um Wasserzoll unter bischöflicher Herrschaft hatten in der hiesigen Umgebung einst für unruhige Zeiten gesorgt. Dort gab es früher zwei Fährstationen: bei Rekum und Farge. Der Ursprung des Ortsnamens Farge hängt aus der dänischen Herrschaftszeit mit dem Wort „Færge“ zusammenhängen, das „Fähre“ bedeutet. Der heutige Farger Fährkurs existiert seit 1823, nachdem der Elsflether Zoll 1820 abgeschafft wurde.

Der empfehlenswerte Exkursionspunkt beim Restaurant am Fähranleger der Bremer Seite – im Volksmund „Meyer Farge“ genannt – war schon im Jahre 1776 beliebt. Der Beobachter blickt über die Weser auf den niedersächsischen Landstrich Juliusplate. Ein Leuchtturm (1954 abgerissen), der im Verlauf der Weserbegradigung erbaut wurde, galt als Wahrzeichen der Farger Fährstation. Daneben befand sich ein Strandbad. Mit Dielenschiff und Ruderkahn wurde bis 1919 übergesetzt, im hölzernen Benzinmotorboot (bisher nur Personenfähren) wurde nach dem Ersten Weltkrieg der regelmäßige Fährverkehr aufgenommen. 1939 verband ein 22 PS starkes Motorboot Berne und Farge, mit dem 32 Personen pro Fahrt übergesetzt werden konnten. Jährlich wurden ca. 85.000 Personen und 5.000 Fahrräder befördert.

1957 erfolgten behördliche Auflagen; eine private Fährgemeinschaft Farge-Berne entstand unter Hinrich Moll, der bis 1983 als Geschäftsführer tätig war und zwei weiteren Fährgesellschaftern. Der Fährverkehr verbesserte sich spürbar, weil auf der linken Weserseite ein schwimmender Anleger errichtet wurde und weil sich ein neues Fährschiff, die „Adler“ im Dienst befand. In den Jahren wuchs der Konkurrenzdruck, und seit 1960 werden mit der neuen Schnellastfähre „Berne-Farge 1“ auch Autos bei Farge über die Weser befördert. Zuvor konnte man nur in Vegesack und Blumenthal (beide Routen seit 1935) mit dem Auto über die Weser setzen.

Der Landkreis Wesermarsch ist an der Schnellastfähre Berne-Farge seit 1959 beteiligt. Seit 1976 ist zusätzlich die Stadtgemeinde Bremen beteiligt. Die drei Fährgesellschafter waren 1976 mehr oder weniger vertragsgemäß „sanft ausgetreten worden“. Deren Geschäftsanteile übernahm die Stadt Bremen zu 100%. Seit 1993 existiert die Fährgemeinschaft „Bremen-Stedingen GmbH“, die alle drei Fährlinien (Vegesack-Lemwerder, Blumenthal-Motzen und Farge-Berne) verwaltet.

Interview mit einem Fährmann

Das folgende Interview wurde im Hause von Herrn HINRICH MOLL in Rönnebeck im Stadtteil Blumenthal am 11. Mai 2000 geführt. Herr Moll feierte in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag. Die Fähre von MOLL in Blumenthal und Farge war die letzte rein private Fähre zwischen Hann. Münden und Bremerhaven. Alle anderen Fähren gehören oder gehörten zum Wasser-Schiffahrtsamt oder sie sind bzw. waren entweder Gemeindefähren oder GmbHs.

VERFASSER: „Herr Moll, wie und wo wurden Sie Fährmann?“

MOLL: „In Brake habe ich [mit 25 Jahren, d.V.] mein Weserpatent gemacht, am 31. Dezember 1945. Ist noch aktenkundig! Ich fing dann bei meinem Vater [in Blumenthal, d.V.] an und war Fährmann. Mit 29 Jahren bekam ich eine Zulassung von der Universität Münster, und da habe ich keinen Mut mehr zum Studieren gehabt. Hinzu kam, daß die Fähre Blumenthal – Motzen durch den ganzen Flüchtlingsstrom interessanter geworden war. Obgleich Blumenthal ja noch eine örtliche Fähre war. Ich hab‘ mir deshalb gesagt: ‚Jetzt bleibe ich Fährmann!‘ Mit meinem Vater wollte ich den Blumenthaler Fährbetrieb ausbauen.

Eines guten Tages wurden Besichtigungen durch die Behörden durchgeführt, und da war die Farger Fähre sehr im argen. Mir wurde vom Bremer Senator ein Angebot gemacht: ‚Wollen Sie in Farge den Fährbetrieb übernehmen? Sonst muß der Fährbetrieb geschlossen werden!‘ Ich war einverstanden und habe mit den zwei Fährpächtern in Farge und Berne eine Fährgemeinschaft gegründet und haben mit einem Fährschiff, was mein Vater in Blumenthal nicht brauchte, dort angefangen. Da hab‘ ich den Landkreis Wesermarsch interessiert für den Betrieb, und die waren sehr interessiert für eine vernünftige „Brücke“. Dadurch ist der Landkreis Wesermarsch mit uns in Partnerschaft gegangen, und wir gründeten eine GmbH. Das war 1959, praktisch der Umbruch in Farge. Die beiden ehemaligen Fährpächter sind Mitgesellschafter in der GmbH geblieben, aber nichtstuend. So bin ich Fährmann geworden.“

„In der hiesigen Literatur wird viel über die großen Fährverbindungen an der Unterweser berichtet, über die kleineren aber kaum. Können Sie etwas über kleinere Fähren berichten?“

„Es bestand auch eine Fähre in Aumund [dieses Gebiet gehört heute zu Fähr-Lobbendorf, d.V.] beim Bremer Vulkan. Und zwar war ja früher dem Vulkan gegenüber das Strandbad Lemwerder [heute: Lürssen Werft, d.V.], und das wurde betrieben von einer Familie Tecklenburg. Diese Familie hat es dann abgegeben an Familie Stehnken, die diese reine Personenfähre dann betrieb. Die Fähre hat also das Hauptgeld kassiert durch die „Vulkanesen“, die von drüben rüberkamen. Sie ließen ihre Fahrräder oder Autos in Lemwerder stehen und fuhren dann mit der Fähre rüber. Und die anderen von Aumund, die gingen hinüber zum Strandbad Lemwerder. Das Strandbad ist einige Zeit später abgeschafft worden, da war also jetzt nur noch diese eine Kategorie da, und davon konnte der Betreiber nicht mehr leben. Der Vulkan hat dann ja zwischenzeitlich noch den Fährbetrieb geführt, aber nur für die „Vulkanesen“, es war dann kein öffentlicher Betrieb mehr.

Und dann gab’s noch eine Zwischenlösung, daß Herr Niekamp, von Vegesack, die Fähre auch noch mit übernommen hat und sie noch als Personenfähre wieder hat aufleben lassen. Aber die Nachfrage war so minimal, daß etwas später leider auch dieser Fährbetrieb, Aumund-Fähr – Lemwerder West, eingestellt werden mußte.“

„Fällt Ihnen spontan eine Anekdote über die Fährschiffahrt ein, die garantiert in keinem Buch zu lesen ist?“

„Mein Großvater ist angefangen mit der Fähre Blumenthal-Motzen, so heißt sie ja heute noch, und durfte nur die Leute übersetzen von Blumenthal nach Motzen. Fünfhundert Meter weseraufwärts, kurz vor der Bremer Wollkämmerei, war die Oldenburger Fähre, die von Bardenfleth nach Blumenthal fuhr. Und dieser Fährmann durfte nur die Leute von Bardenfleth nach Blumenthal übersetzen. Genau so in Farge. Nur die beiden Fährleute in Farge, wo das auf einer Fährlinie war, die waren sich einig. Die haben das Fährgeld kassiert, und das ist jetzt keine Legende, sondern das ist echte Wahrheit: in die rechte Tasche das eigene und in die linke das andere [Geld, d.V.], denn sie haben gegenseitig ausgemacht: ‚Wenn du gerade drüben bist und da will jemand zurück, den kannst du mitnehmen, aber das Geld gehört mir!‘ Und genau so hat’s der andere auch getan. Und abends, wenn die letzte Tour war, haben die beiden sich verabschiedet, haben beide in die linke Tasche gegriffen und haben seinem Gegenüber das ihm zustehende Geld gegeben. Das war alles auf Treu und Glauben. So etwas ist ja normalerweise betriebswirtschaftlich überhaupt nicht vertretbar.“

„Wie war das Fährgeschäft tariflich geregelt? Wo waren welche Fährkarten gültig? Kann die Bremen-Stedingen GmbH übrigens nach Laune die Tarife erhöhen? Ein PKW mit Fahrer kostet heute schon 4 Mark, ohne Zehnerkarte sogar 6,40 DM.“

„Es hat vorher schon [vor der Gründung der Bremen-Stedingen GmbH, d.V.] einen sogenannten Tarifverbund gegeben ohne daß gegenseitig ausgeglichen wurde. das heißt also, die Zehnerkarten oder Wochenkarten, die man für die Fährlinie Berne-Farge gekauft hat, war in Vegesack auch gültig ohne daß verrechnet wurde. Umgekehrt war die Vegesacker Zehnerkarte auch in Berne-Farge oder Blumenthal-Motzen gültig ohne daß verrechnet wurde, weil man unterstellt hat, daß sich das ‚über den großen Daumen‘ ausgleicht. Die Fährkarten waren bei allen drei Fährlinien gleich teuer. Die Wirtschaftsprüfer, denen wir unterlagen, haben das, wenn man so sagen darf, mit einem lachenden und mit einem weinenden Auge gesehen. Die Fährtarife sind heute übrigens so gesteuert, die dürfen nur dann erhöht werden, wenn ein Verlust vermutet wird. Wenn also ein Gewinn von vornherein ausgewiesen wird, dürfen die Politiker nicht der Tariferhöhung zustimmen.“

„Man hört ja heute vieles über zeitaufwendige Arbeitswege. Eine Stunde Arbeitsweg scheint heutzutage schon fast normal zu sein. Wie sah es bei Ihnen aus?“

„Wenn es um Arbeitswege geht, bin ich sehr verwöhnt gewesen. Als ich anfing vom Zuschließen der Haustür bis zum Aufschließen der Steuerhaustür – nachts fuhren wir zunächst in Blumenthal noch nicht – das dauerte zwei und eine halbe Minute. Auf die Sekunde genau! Eines guten Tages, wir wohnten im Hause meiner Schwiegermutter, wurde das Haus beschlagnahmt – vom Amerikaner. Meine Frau und ich, mit Kind, wurden bei ihrer Großmutter untergebracht. Der Weg von dem Haus bis zur Fähre war ganz exakt fünf Minuten, mathematisch gesehen: genau das Doppelte. Ich hab‘ gedacht, ich müßte morgens schon eine Weltwanderung machen.“

von Armin Seedorf