Die
Lesum

„Acht Tage bin ich nun schon hier, und es ist wunderbar“, schrieb eine junge Frau Ende des 19. Jahrhundert an ihre Cousine. „Die anderen Vormittage rudern wir; er rudert mit mir meist hinüber ans andere hilfbucht. Wir sind ganz selig zusammen, lesen auch gar nicht mehr in den Büchern, die wir zuerst mitnahmen, sondern haben uns ganz entsetzlich viel zu sagen.“ Magda (Matti) Melchers, gutbehütete Tochter wohlhabender Bremer Chinafahrer, erlebte in Lesmona ihre erste und unerfüllte Liebe.

Lesmona hieß der Landsitz der Kaufmannsfamilie Melchers, direkt an der Lesum gelegen, dort, wo Bremen am schönsten ist. In diesem Haus saß Mattis Halbcousin Percy Roesner am Klavier und sang: „There is a flower into my heart / Daisy, Daisy / Planted some day by a glancing dart…“ Matti Melchers verliebte sich in ihn und schrieb die Briefe, die heute als „Sommer in Lesmona“ weltberühmt sind.

Das Haus Lesmona steht heute noch prunkvoll im Ortsteil St. Magnus, im Park des Gutes Knoop. Es ist ein Sommerhaus im klassizistischen Stil, das umwachsen ist von Maiglöckchen und Veilchen, ein Haus, hoch sitzend über einem Fluß, der aus den beiden Flüssen Hamme und Wümme entstand und weiter in die Weser hineinfließt. Noch heute bieten Architektur und Landschaft, u.a. künstliche Grotten, deren eine einst „Nizza“ genannt wurde, eine behagliche Kulisse für sentimentale Erlebnisse zwischen Frau und Mann. Ein Stück Mittelmeer eben, in einen norddeutschen Park geholt.

Während die einen lieber an der Lesum spazieren gehen und den Knoops Park genießen mit seinen gemütlichen Nischen und Ausblicken, halten sich die anderen lieber auf dem Fluß auf. Im Sommer sieht man dort reges Treiben: Die Wassersportler genießen diese Region in Segel-, Motor-, Paddel- und Ruderbooten.

Von Lesum ist es nicht weit nach Vegesack. Der Admiral-Brommy-Weg führt durch eine Gegend, die, wollte man den Vergleich zulassen, den Touristen an Hamburg-Blankenese denken läßt. Der geschlängelte Weg führt an zurückgezogenen Häusern, Teepavillons und teilweise riesigen Gärten vorbei, bis man den Grohner Yachthafen auftauchen sieht. Von dort aus ist es nur noch ein kleiner Fußmarsch ins Vegesacker Zentrum hinein.

„‚Die Lesum bildet mit ihren Hügeln ganz niedliche Ufer, die sogar romantisch sein sollen‘, wie der Schulmeister von Grohn, einem Dorfe bei Vegesack, auf Ehre versicherte“. So notierte Friedrich Engels (*1820, †1895, deutscher Sozialist; arbeitete eng mit Karl Marx zusammen) in seinem Reisebericht. Er war 1840 mit dem Raddampfer „Roland von Bremen“ nach Bremerhaven unterwegs. Die Zwischenstation fand in Vegesack statt. Hier stiegen Mitreisende aus, fast alle sogar, denn Vegesack und Lesum galten als äußerst beliebte Ausflugsziele.

Als Engels die nordbremische Landschaft von der Reling aus betrachtete, kam er, trotz aller Skepsis, um eine Anerkennung nicht herum: „Vegesack ist die Oase der bremischen Wüste. In Vegesack gibt’s Berge von 60 Fuß Höhe, und der (Stadt-)Bremer spricht wohl von der ‚Vegesacker Schweiz‘. Ehe man hinkommt, sieht man eine Menge Schiffsrümpfe in der Weser liegen, teils ausgediente, teils hier neugebaute. Gleich hinter Vegesack versucht das Sandmeer wirklich bedeutende Wellen zu schlagen und senkt sich ziemlich steil in die Weser hinein. Hier liegen die Villen der Aristokraten, deren Anlagen das Weserufer eine kleine Strecke hin wirklich sehr verschönern.“ Während Engels nach oben blickte, hinauf zu den Ausgucken der reichen Bremer Kaufleute, blickten diese nach unten, die Schiffe zählend, die ihnen Erfolg garantierten.


von Armin Seedorf